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Psychologie im Supermarkt: Welche alten und neuen Tricks beeinflussen das Kundenverhalten?

Dieser Beitrag ist Teil 132 von 130 in der Serie Basics des LEH

Der Einkaufswagen rollt leise durch die Gänge, der Duft von frisch gebackenem Brot liegt in der Luft und irgendwo zwischen Aktionsregal und Gemüsestand beginnt ein Spiel, das fast niemand bemerkt. Ein Spiel, das mit Farben, Tönen, Wegen und Zahlen spielt. Mit Reflexen und Routinen. 

Obst & Gemüse Quelle: https://unsplash.com/de/fotos/psy-nI3562c

Dabei ist längst alles darauf ausgelegt, jede noch so kleine Entscheidung in die gewünschte Richtung zu schubsen. Manche dieser Kniffe wirken subtil wie ein Lächeln, andere sind so alt wie der Wochenmarkt selbst. Und wieder andere kommen so smart daher, dass sie selbst Skeptiker dazu bringen, drei Joghurts mehr zu kaufen als geplant. Zeit, das Drehbuch einmal zu entwirren.

Wie der Supermarkt Kunden durch den Raum lenkt

Kaum ein Raum ist so präzise geplant wie der Grundriss eines Supermarkts. Nicht etwa, weil Architekten plötzlich Lust auf Einkaufspsychologie hätten, sondern weil jeder Quadratmeter dazu beiträgt, den Umsatz zu maximieren. Produkte des täglichen Bedarfs, Milch, Eier, Brot, stehen selten direkt am Eingang. Sie verstecken sich vielmehr im hintersten Winkel des Ladens, sodass beim Weg dorthin möglichst viele Versuchungen im Blickfeld auftauchen. Wer einmal losläuft, hat plötzlich Chips gesehen, Nudeln ins Auge gefasst und ach, da liegt ja auch noch die Lieblingsschokolade. 

Der Aufbau erinnert stellenweise an die Logik, nach der auch so manches neue Online Casino gestaltet wird: Klare Wegeführung, gezielte Reizsetzung und das konsequente Spiel mit Wahrnehmung und Zeitgefühl. Alles ist darauf ausgerichtet, dass der Nutzer in Bewegung bleibt und sich dabei ständig für etwas entscheidet. Oft ohne es bewusst zu merken.

Die Laufrichtung spielt dabei eine überraschend große Rolle. Die meisten Märkte sind gegen den Uhrzeigersinn angelegt, was mit der motorischen Bevorzugung der rechten Hand zusammenhängt. Das Regal auf der rechten Seite bekommt so automatisch mehr Aufmerksamkeit. Auch das Lichtdesign folgt einer klaren Dramaturgie. Helle, freundliche Bereiche in Frischeabteilungen laden zum Bummeln ein, während dunklere Gänge bei Drogerieartikeln das Tempo erhöhen. 

Wer sich hier länger aufhält, hat sich entweder verlaufen oder überlegt schon zum dritten Mal, ob Zahnpasta mit Aktivkohle wirklich nötig ist. Spiegel und Glasflächen strecken optisch den Raum und erzeugen das Gefühl von Weite und Auswahl. Das nennt sich dann Gruen-Effekt. Benannt nach einem Mann, der das Einkaufsverhalten so gut verstanden hat, dass er eigentlich eine Statue im Eingangsbereich verdient hätte.

Wie Farben, Musik und Gerüche Entscheidungen beeinflussen

MPreis Sölden Foto: Supermarkt-Inside

Der Supermarkt ist kein Ort für reine Logik, sondern ein sensorisches Erlebniszentrum mit Einkaufsmöglichkeit. Farben zum Beispiel: Rot schreit nach Aktion, zieht die Blicke magisch an und wirkt wie ein visuelles Megafon, das „Hier kaufen!“ ruft. Grün hingegen flüstert von Frische und Gesundheit, während Gelb sich aufdrängt wie ein Sonderangebot, das nicht warten kann.

Auch musikalisch ist der Raum fein justiert. Wer durch die Gänge schlendert, hört selten zufällig gewählte Musik. Langsame Takte senken das Tempo, laden zum Verweilen ein und erhöhen die Chance, dass etwas gekauft wird, das nicht auf dem Zettel stand. Abends hingegen darf es schneller werden. Dann soll der Einkauf effizient fließen. Gerüche spielen die wohl raffinierteste Karte. 

Der Duft von Brot am Eingang ist reine Inszenierung. Die Suggestion: frisch, handgemacht, vertrauenswürdig. Selbst wenn das Brot irgendwo tiefgefroren aufgetaut wurde, wirkt der Geruch wie eine Einladung zum Kauf. In der Weihnachtszeit übernehmen Zimt und Nelken das Kommando, erzeugen Wärme und Emotion und lösen Konsum aus, lange bevor überhaupt ein Geschenk ausgesucht wurde.

Was am Regal wirklich zählt

Ostern 2024 / Foto: Supermarkt-Inside

Nicht der Preis entscheidet über den Verkaufserfolg, sondern der Platz im Regal. Teurere Markenprodukte befinden sich fast immer auf Augenhöhe. Dort, wo der Blick intuitiv landet. Günstigere Alternativen oder Eigenmarken verkriechen sich weiter unten oder ganz oben, wo das Bücken oder Strecken gleich noch ein kleines Workout erfordert. Wer’s bequem mag, greift zum Teureren. Und das passiert ganz ohne Drama.

Ein besonders cleveres Schauspiel findet an der Kasse statt. Süßigkeiten, Batterien, Lippenpflegestifte. Alles, was sich schnell greifen lässt, liegt in greifbarer Nähe. Kein Vergleich, keine Bedenkzeit. Impulskäufe par excellence. Kinder stehen auf Höhe der Schokoriegel, Erwachsene auf Höhe der Energy-Drinks. Von Zufall keine Spur. 

Noch raffinierter wird es bei thematischen Platzierungen: Wein neben Käse, Pasta neben Pesto. Wer das eine will, nimmt das andere gleich mit. Die Botschaft ist klar: Das gehört zusammen. Wie Bier und Fußball oder Kühlschrank und Strom. Dazu kommen aufwendig inszenierte Regalgondeln und Aktionsinseln, weil ein Produkt, das prominent steht, automatisch interessanter wirkt.

Die Strategie mit Preisschildern

MPreis Salden Foto: Supermarkt-Inside

1,99 € klingt günstiger als 2 €. Klingt nicht nur so, fühlt sich auch so an. Obwohl der Unterschied minimal ist, wirkt der niedrigere Preis attraktiver, weil das menschliche Gehirn in Kategorien denkt: unter zwei Euro = okay. Diese psychologische Schwelle wird systematisch genutzt.

Daneben gibt es den Trick mit dem sogenannten Ankerpreis. Wer eine Zahnbürste für 8,90 € sieht und daneben eine für 3,50 €, empfindet letztere als fairen Deal, obwohl sie vorher vielleicht nie infrage gekommen wäre. Noch auffälliger wird’s bei durchgestrichenen Preisen, die einen Rabatt nur suggerieren. 

Der Vergleichswert wirkt wie ein verlorenes Schnäppchen und macht das aktuelle Angebot umso attraktiver. Mengenangebote funktionieren ähnlich. „3 für 2“ oder „2. Produkt -50 %“ klingen nach Gewinn, selbst wenn der Einzelpreis kaum sinkt. Verpackt wird das Ganze dann noch in gelben Schildchen mit roter Schrift. Visuelle Alarmglocken, die ohne jedes Piepen funktionieren.

Was hinter Kundenbindungsprogrammen steckt

Starke Partnerschaft zum Jahresstart: Ab 1. Januar 2025 wird der EDEKA-Verbund neuer Partner des marktführenden Bonusprogramms PAYBACK. Bildrechte: EDEKA ZENTRALE Stiftung & Co. KGFotograf: Ulrich Schaarschmidt

Treuekarten fühlen sich an wie ein kleines Dankeschön. Eine Belohnung für den guten Kunden. Doch wer regelmäßig Punkte sammelt, der gibt oft mehr aus als geplant. Das hat nichts mit schlechtem Rechnen zu tun, sondern mit Psychologie. Wer einmal angefangen hat, will das Punktekonto auch füllen. Je näher das Ziel, desto größer die Motivation.

Noch raffinierter wird es, wenn Supermärkte anfangen, Coupons auf Basis des Einkaufsverhaltens zu verteilen. Wer immer wieder dieselben Produkte kauft, bekommt Angebote, die genau dazu passen und fühlt sich irgendwie verstanden. Dabei geht es gar nicht ums Verständnis, sondern um präzise Datenauswertung. Was aussieht wie persönliche Zuwendung ist in Wahrheit ein Algorithmus mit Einfühlungsvermögen. 

Gamification-Elemente wie Fortschrittsbalken, Levels und Sofortgewinne sprechen das Belohnungssystem im Gehirn an. Kaufen wird zur Routine, zur kleinen Challenge. Und wer denkt schon an Datenschutz, wenn er noch drei Punkte bis zum Gratis-Kaffeebecher braucht?

Wenn die Zeit stehen bleibt

Fenster gibt’s selten und Uhren sind Fehlanzeige. In Supermärkten wird das Zeitgefühl neutralisiert. Nicht, um zu verwirren, sondern um zu verlängern. Wer nicht merkt, wie lange er schon unterwegs ist, bleibt länger. Wer länger bleibt, kauft mehr. So einfach ist das. Lichtinszenierungen, Musik, Produktfülle.

All das erinnert verdächtig an die bereits angesprochenen Casinos. Auch dort geht es nicht um Kontrolle, sondern um Reizüberflutung. Die Umgebung wird zur Erlebniswelt. Unterschied: Im Supermarkt winkt kein Jackpot. Dafür das Gefühl, gut versorgt zu sein. Wer mit drei Tüten rausgeht, hat etwas geschafft.

Was bleibt, wenn man die Tricks kennt?

Psychologische Effekte lassen sich nicht einfach abschalten. Wer weiß, dass 1,99 € ein Trick ist, empfindet den Preis trotzdem als attraktiv. Das menschliche Gehirn ist nicht auf Sparsamkeit, sondern auf Effizienz programmiert. Deshalb funktioniert die emotionale Steuerung auch dann, wenn sie durchschaut wird.

Marketing ist nicht per se böse. Es wird nur dann problematisch, wenn es Schwächen ausnutzt. Müdigkeit, Hunger, Stress. All das macht empfänglicher für emotionale Reize. Deshalb lohnt es sich, strukturiert zu kaufen. Mit Liste. Mit klarem Ziel. Und am besten nicht mit knurrendem Magen. Kundenkarten, Coupons, Sonderaktionen. Alles kann sinnvoll sein. Aber eben nicht bedingungslos. Wer bewusst konsumiert, kauft nicht weniger, aber vielleicht besser. Und verlässt den Supermarkt nicht mit einem Bauch voller Zweifel, sondern mit einem Korb voller Entscheidungen, die auch morgen noch gut aussehen.

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